Caroline Flachsland an Herder: 9. 3. 1772
Ich
habe vor einigen Tagen Ihren Freund Goethe und Herrn Schlosser, von dem
ich Ihnen schon geschrieben, kennen gelernt. Sie haben Merck besucht auf
etliche Tage, und wir waren zwei Nachmittage und ich beim Mittagessen beisammen.
Goethe ist so ein gutherziger muntrer Mensch, ohne gelehrte Zierat, und
[hat] sich mit Mercks Kindern so viel zu schaffen gemacht, und eine gewisse
Ähnlichkeit im Ton oder Sprache oder irgendwo mit Ihnen, daß
ich ihm überall nachgegangen. Der erste Nachmittag wurde uns verdorben
durch ein Trisept-[Karten]Spiel und zwei Leute aus der Stadt. Nur einen
Augenblick saß Goethe, meine Schwester und ich der Abendsonne, die
sehr schön war, gegenüber und sprachen von Ihnen. Er hat sechs
Monat in Straßburg mit Ihnen gelebt, und sprach recht mit Begeistrung
von Ihnen. Ich habe ihn von diesem Augenblicke an recht lieb bekommen.
Den zweiten Nachmittag haben wir auf einem hübschen Spaziergang und
in unserm Hause bei einer Schale Punsch zugebracht. Wir waren nicht empfindsam,
aber sehr munter, und Goethe und ich tanzten nach dem Klavier Menuetten.
Und darauf sagte er uns eine vortreffliche Ballade von Ihnen her, die ich
noch nie gehört, "Dein Schwert, wie ist's vom Blut so rot, Edward,
Edward?", er hat sie mir auf meine öftere Bitte den andern Tag nach
seiner Rückkunft in Frankfurt, aber ohne Brief, geschickt. Herr Schlosser
ist ein guter, sehr guter Mann, nur ein wenig zu viel Welt-Firnis. Er hat
mich sehr lieb und mehr, dünkt's mich, als Goethe, das mir doch leid
ist. Er hat in einem Brief an Merck sechs Zeilen lang von mir gesprochen.
Sie wollen im Sommer wieder kommen.
Herder an Caroline Flachsland 21. 3. 1772
Goethe ist würklich ein guter Mensch,
nur äußerst leicht und viel zu leicht und spatzenmäßig,
worüber er meine ewigen Vorwürfe gehabt hat. Er war der einzige,
der mich in Straßburg in meiner Gefangenschaft besuchte und den ich
gern sah. Auch glaube ich ihm, ohne Lobrednerei, einige gute Eindrücke
gegeben zu haben, die einmal würksam werden können.
Der poetische Hausgott des Darmstädter Zirkels war
Klopstock. Schon 1771 hatte Merck einen Privatdruck seiner Oden in 34 Exemplaren
veranstaltet. Rechts ein Ausschnitt aus der Ode "Die Frühlingsfeier"
- die Stelle, an die Lotte im Werther denkt, als sie das Losungswort
"Klopstock" ausspricht.
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